Unter Poesietherapie kann jedes therapeutische und (selbst) analytische Verfahren verstanden werden, das durch Schreiben und Lesen den subjektiven Zustand eines Individuums zu bessern versucht.
Poesietherapie umfasst (auto-) biographisches, expressives, intuitives, kreatives, therapeutisches, imaginatives, analoges, assoziatives und automatisches Schreiben sowie die aktive Textaufnahme und -Verarbeitung.
(frei nach: Silke Heimes, Warum Schreiben hilft, 2012, Vandenhoeck & Ruprecht, S. 18)
Für mich bedeutet Poesietherapie:
– im Lauschen von Texten mich dem Wesenskern des anderen zu nähern
– einzutauchen in die Sprache und die Bilder des Patienten, um gemeinsam Neues zu entdecken
– dem Unbewussten durch Worte Ausdruck und dadurch Klarheit zu verleihen
– den Zauber von Sprache zum Klingen zu bringen
Als Schreibanregung für eine Schreibübung am Morgen möchte ich im folgenden Hanns-Josef Ortheil zitieren aus seinem Buch: „Dicht am Leben“
„Nehmen Sie sich jeden Tag zu einer frühen Morgenstunde etwas Zeit zum Notieren ihrer Gedanken. Schreiben Sie nicht über Ereignisse, Begebenheiten, Emotionen, Meinungen anderer, Gespräche mit anderen. Beginnen Sie vielmehr mit etwas noch Abstraktem: einer Idee, die Sie schon lange bewegt, einem philosophischen Lehrsatz, einer theologischen Lehrmeinung.
Gehen Sie den Elementen und Bestandteilen dieser Ideengebilde geduldig so nach, wie sie sich in ihrem Hirn darstellen und entwickeln. Runden Sie Ihre Gedankengänge nicht ab, lassen Sie ruhig zu, dass Sie zweifeln, sich widersprechen, von vorne beginnen, sich im Kreise drehen, nicht weiter wissen ……“
(aus: Hanns- Josef Ortheil , Schreiben dicht am Leben, Duden Verlag, 2012, S. 142)
Ich zitiere weiter:
„So gesehen, ist das frühmorgendliche Schreiben nicht an erster Stelle ein stets kontrolliertes, bewusstes Notieren, sondern eher der Versuch, die dunklen Wege des Denkens zu entwirren.
In jedem Menschen existiert ein großer, noch unentdeckter Text. Diesen im Ganzen dunkel bleibenden Text gilt es zu entziffern. Das tägliche Schreiben versucht genau so eine Entzifferung, in kurzen Schreibanläufen, die kleine Fragmente von Schrift produzieren:
Ich empfinde all dies, was ich hier niederschreibe – diese Beobachtungen, diese Annäherungen, als einen Versuch, einen Text zu lesen, und dieser Text enthält eine Menge klarer Fragmente. Das Ganze ist schwarz.
(Paul Valery: Cahiers/Hefte I, S.34) “
( aus: Hanns-Josef Ortheil, Schreiben dicht am Leben, Duden Verlag, 2012, S. 138/139)
Die bekannte Sängerin Patti Smith beschreibt die Heilung durch Schreiben in ihrem Buch “ Traumsammlerin“ folgendermaßen:
„Alles in diesem kleinen Buch ist wahr und so erzählt, wie es war. Es zu schreiben, löste mich aus meiner seltsamen Erstarrung, und ich hoffe, dass es den Leser bis zu einem gewissen Grad mit einer unbeschwerten, eigentümlichen Freude erfüllt. “ (aus: Patti Smith, Traumsammlerin, 1. Auflage, 2013, Kiepenheuer & Witsch, S. 13)
Und hier noch ein link zu einem Artikel von Anna Platsch über die heilende Kraft der Worte: www.annaplatsch.de